Die Fähigkeit tief zu fühlen

Vor ungefähr 10 Jahren, nachdem mein 5-jähriger Sohn komplett austickte und mir an den Kopf warf, er wolle nicht mehr leben und ich sei eine noch schlechtere Mama als die Kindergärtnerin, weil ich ihm im Kindergarten nicht helfen könne, lag ich weinend auf dem Schragen meiner Kinesiologin. "Dein Kind ist hochsensibel und du bist es wohl auch", meinte sie und gab mir ein Buch mit über das Thema Hochsensibilität. Im ersten Moment war ich damit völlig überfordert. Ja und jetzt? Hilflosigkeit und Angst machte sich breit. Was mach ich jetzt, wenn mein Kind so sensibel und so schnell überreizt ist und ich selbst auch. Wird es in dieser leistungsorientierten Welt überhaupt zurechtkommen? Kann ich meinen Sohn unterstützen, wenn ich selbst im Moment überhaupt keine Kraft mehr habe? Wie sollen wir die Schulzeit schaffen, wenn bereits die Kindergartenzeit eine derartige Tortur ist für uns beide? Heute bin ich froh, dass ich, aufgrund der damaligen Situation auf dieses Thema gestossen bin. Ich merkte plötzlich, dass ich nicht alleine bin. Ich hatte endlich Gleichgesinnte, mit denen ich mich austauschen konnte. Plötzlich verstand ich auch, wieso ich mich schon immer «irgendwie anders» fühlte und manchmal das Gefühl hatte nicht in diese Welt zu passen.
Mich mit dem Thema Hochsensibilität zu beschäftigen, hat mich dazu gebracht mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Es hat mir geholfen im Umgang mit meinen Kindern und dabei mich selbst besser wahrzunehmen.
Vom Begriff Hochsensibilität selbst und wie einige Leute wiederum damit umgehen, habe ich mich mittlerweile trotzdem etwas distanziert. Klar, ist es manchmal Fluch und Segen zugleich. Aber mich stört, wenn es wie ein «Syndrom» ausgelegt wird. Es stört mich, wenn man den Begriff in die Opferrolle drängt. Denn es ist keine Krankheit! Es ist eine Stärke, eine Fähigkeit, welche so sehr positiv sein kann, wenn man damit umzugehen weiss. Ich nenne diese Fähigkeit "die Fähigkeit tief zu fühlen".  Eine Fähigkeit, einen Wesenszug der einfach ist. Für mich ist heute eigentlich nur noch wichtig, einfach anzunehmen was da ist und dass ich weiss wie ich mit mir umzugehen habe.

 

Die Sensibilität

Die Sensibilität realisiert eine Grundeigenschaft des Lebens, und zwar über das Nervensystem. Das Nervensystem nimmt Informationen über die Umwelt und den Organismus auf, verarbeitet diese und veranlasst entsprechende lebensdienliche Reaktionen. Alle Menschen und Tiere verfügen über Sensibilität.Unterschiedlich aber ist der Grad an Sensibilität. Bei einigen Menschen, besonders bei sehr feinfühligen Menschen und Tieren liegt aufgrund der Beschaffenheit ihres Nervensystems eine stärker ausgeprägte Sensibilität vor. Dass eine Minderheit dieses Phänomen aufweist, war schon immer gegeben – offenbar hat es sich in der Evolution nämlich so bewährt. In der Tierwelt beispielsweise sicherten Tiere mit einem höheren Grad an Sensibilität das Überleben Ihrer Art. Es gab einfach nur noch keinen Namen für dieses Phänomen. Elaine Aron beschäftigte sich erstmals eingehend mit dieser auffällig hohen Sensibilität, forschte selbst und wertete Studien dazu aus. Sie prägte den Begriff Hochsensibilität. Ihre Bücher können zu diesem Thema als grundlegend angesehen werden. Nach ihrer Erkenntnis betrifft Hochsensibilität etwa 15-20% der Menschen (Frauen gleichermassen wie Männer) und ist ein veranlagungsbedingtes Persönlichkeitsmerkmal. In Kurzdefinition: Hochsensible Personen haben ein empfindliches Nervensystem welches eine tiefere Wahrnehmung, komplexere Informationsverarbeitung, intensives Empfinden und langes Nachwirken der Eindrücke bedeutet. Aufgrund ihrer hohen Reizempfindlichkeit nehmen hochsensible auch geringfügige und unterschwellige Reize wahr.

 

Feinfühligkeit und die Herausforderung in einer leistungsorientierten Gesellschaft

Feinfühlige Menschen nehmen also tiefer und anders wahr. Sie können, sozusagen hinter die Kulissen schauen. Die grösste Herausforderung ist, dass sie mit dieser Wahrnehmung deshalb oft in der Minderheit sind. Weil ihrer eigenen Wahrnehmung häufiger widersprochen wird, beginnen sie an sich selbst zu zweifeln. Diese Selbstzweifel sind oft die Hauptursache für das, was sensible und feinfühlige Menschen aus dem Gleichgewicht bringt. Es entsteht ein Selbstbild des „Nicht richtig Seins“. In der Folge versucht man stark, manchmal auch übertrieben, sich anzupassen und eigene Impulse zu unterdrücken, um ins Bild der anderen reinzupassen. Man zwingt sich Dinge zu tun und auszuhalten die einem eigentlich zuwider sind, nur um zu entsprechen. Negative Glaubenssätze beginnen zu dominieren, der eigenen Wahrnehmung wird nicht mehr vertraut. Eine innere Zerrissenheit entsteht. Die Konsequenz sind Angst, Überforderung und Gefühle der Wut auf sich selbst und andere. Die inneren Konflikte spiegeln sich immer wieder in Situationen im Aussen. Dies so lange bis die verdrängten Anteile akzeptiert und integriert werden. Denn das Leben lehrt uns immer wieder, solange bis wir verstanden haben.

Wir werden alle mit einer intuitiven Wahrnehmung geboren. Kinder im Kleinkindalter sind noch besonders intuitiv. Sie lernen rein intuitiv und folgen noch ihren Impulsen. Mit der Zeit gerät dieses intuitive Gespür bei den meisten Menschen durch gesellschaftliche Einflüsse in den Hintergrund. Nun gibt es aber Menschen, die diese intuitiven Impulse nicht einfach ausblenden können. Sie nehmen auch im Erwachsenenalter nicht sichtbare Informationen wahr. Oft ist zu beobachten, dass sie sich dann sehr für spirituelles oder mediales interessieren, oder aber sie haben eine starke Abneigung dagegen.Einige versuchen ihr ganzes Leben krampfhaft dem   Mainstream zu folgen und werden unglücklich oder sogar ernsthaft krank. Andere leben zwar ihre individuelle Freiheit, schotten sich aber bewusst und massiv von allem ab. Manchmal entwickelt sich auch grobes und aggressives Verhalten, welches die inneren Konflikte widerspiegelt. Je nach Lebensphase kommt man auch von der einen Verhaltensweise in die andere.

Das Wichtigste ist deshalb ein positives Selbstbild zu entwickeln und zu lernen sich selbst und seiner Intuition zu vertrauen.

Hochsensible haben vielleicht teilweise ein negatives Selbstbild, da sie, wie bereits erwähnt, mit ihrer Wahrnehmung oft nicht ins Gesamtbild passen. Sie haben aber eine positive Grundeinstellung. Sie sind reflektiv und ganz und gar nicht mental schwach oder gar labil.

Der Schlüssel liegt vor allem im:

  • Erkennen des eigenen Selbst, seiner Fähigkeiten und seiner Bedürfnisse, sich selbst zu spüren und wahrzunehmen.
  • Praktizieren von Selbstannahme und Selbstfürsorge
  • Lernen mit Begrenzungen/Grenzen und Belastungen umzugehen.

Diesen Schlüssel kann jedoch niemand anders für einen finden. Denn niemand, ausser man selbst, kennt den eigenen Lebensweg. Persönlichkeitsbegleitungen und der Austausch mit Gleichgesinnten, erweisen sich aber als sehr unterstützend und hilfreich.

Wenn du dich gerne noch eingehender über das Thema Hochsensibilität informieren möchtest, kann ich dir die Bücher der folgenden Autoren sehr empfehlen:

Elaine Aaron –Silvia Harke - Susan Marletta Hart.

Hast du oder dein Kind die Fähigkeit tief zu fühlen?

Gerne darfst du mich kontaktieren, wenn du mehr über das Thema Hochsensibilität, die Persönlichkeitsbegleitung und den Austausch mit Gleichgesinnten erfahren möchtest.

Alles Liebe Bettina